
Strategie - die Kunst des klugen Verzichts
Es gibt Wörter, die wirken wie ein Nebel: Man hört sie überall, jeder meint, sie zu verstehen – und doch bleibt ihr Kern verschwommen. Strategie ist so ein Wort. Es klingt nach Größe, Weitsicht, Führung. Es verleiht Meetings Gewicht und PowerPoint-Folien Seriosität. Doch sobald man fragt, was konkret damit gemeint ist, beginnt die Unsicherheit. Jeder versteht etwas anderes – und am Ende entsteht genau das, wovor sich alle fürchten: Konflikt, Verwirrung, Orientierungslosigkeit.
Strategie ist zu einem Containerwort verkommen. Alles Mögliche wird hineingepackt: Ziele, Pläne, Taktiken, Visionen, Maßnahmenkataloge. Hauptsache, es klingt gut. Doch viele verwechseln Strategie mit Planung. Denn während Planung für das Berechenbare zuständig ist – also für das, was wir kennen und kontrollieren können –, ist Strategie genau das Gegenteil: Sie beginnt dort, wo das Wissen endet. Dort, wo Unsicherheit beginnt. Wo der Nebel nicht nur ein Bild ist, sondern Realität.
Strategie ist nicht der Weg zum Ziel – sie ist der Ausschluss vieler Wege
Viele verwenden Strategie als Synonym für den “Weg zum Ziel”. Ein Trugschluss wie ich meine. Strategie ist kein Weg, sondern ein Kompass. Und vor allem: eine Absage an bestimmte Wege. Sie trifft keine Entscheidung für die Zukunft – sie verhindert vielmehr bestimmte Entscheidungen, die wir nicht mehr treffen wollen. Strategie bedeutet: Wir sagen bewusst Nein. Nein zu Märkten, Produkten, Kunden, Vorgehensweisen. Und gerade dadurch wird sie wirksam.
Das klingt zuerst einmal kontraintuitiv in einer Welt, in der „mehr“ und „schneller“ oft als alleinige Maximen gelten. Doch wer alles sein will, ist am Ende nichts. Wer alle Türen offen hält, steht im Durchzug. Gute Strategie bedeutet: Türen schließen. Möglichkeitsräume begrenzen. Das klingt hart, ist aber notwendig.
Eine triviale Strategie ist keine Strategie
„Wir wollen die Besten der Branche sein“ – großartig, oder? Nein. Es ist heiße Luft. Denn das Gegenteil – „wir wollen zu den Schlechtesten gehören“ – ist keine echte Alternative. Und damit ist der Satz trivial. Gute Strategie zeigt sich in der Umkehrbarkeit: Wenn das Gegenteil eine ebenso plausible, wenngleich riskante Entscheidung wäre, sind wir auf der Spur echter Strategie. Zum Beispiel: „Wir entwickeln unsere Alu-Schränke nicht weiter – wir fokussieren uns auf Edelstahl.“ Das ist konkret. Es lässt etwas zurück. Es ist eine Entscheidung – und gleichzeitig eine Wette auf die Zukunft.
Strategie ist kein Ziel
Ziele lieben wir. Sie sind quantifizierbar, messbar, motivierend – sagt man. In stabilen, planbaren Umfeldern mag das stimmen. Doch in der realen, dynamischen Wirtschaftswelt, wo Überraschungen der Normalfall sind, werden Ziele schnell zur Fessel. Der Markt dreht sich schneller, als das Quartal zu Ende geht. Und während das Ziel noch nachhallen soll, ist die Wirklichkeit längst weitergezogen.
Strategie hingegen lebt von Beweglichkeit. Sie braucht kein Ziel, um Orientierung zu geben. Sie gibt „Leitprinzipien“ vor, keine Befehle. Sie sagt: „So ticken wir. Und so nicht.“ Dadurch ermöglicht sie Handeln, ohne zu gängeln.
Strategie schafft Klarheit durch Verzicht
„Wir stellen den Kunden in den Mittelpunkt!“ Klingt gut. Ist aber beliebig. Denn das Gegenteil wäre absurd: „Wir ignorieren den Kunden.“ Auch hier: kein Erkenntnisgewinn. Wer alles will, sagt am Ende nichts.
Eine echte Strategie wäre: „Wir verkaufen ausschließlich über den persönlichen Vertrieb – nicht online.“ Plötzlich ist klar: Kein E-Commerce, keine Shop-Plattform, keine Social-Media-Klick-Kampagnen. Das ist eine strategische Entscheidung. Sie hilft nicht nur dem Unternehmen, sondern vor allem den Mitarbeitern: Sie wissen, woran sie sind.
Strategie verhindert Blindflug
Fehlt eine gute Strategie, wird’s gefährlich. Dann müssen Mitarbeiter selbst entscheiden, ohne Orientierung. Sie improvisieren, widersprechen sich, arbeiten gegeneinander – nicht, weil sie destruktiv sind, sondern weil ihnen die Leitplanken fehlen. So entstehen Konflikte, Reibung, Frust. Das berühmte Silodenken ist oft kein Kommunikationsproblem, sondern ein Strategiemangel.
Gute Strategie klärt. Sie schafft Verbindlichkeit, ohne zu gängeln. Sie ermöglicht Eigenverantwortung, ohne Chaos.
Strategie ist Verzichtskunst
Wer führen will, muss verzichten können. Strategie ist die Kunst des klugen Verzichts. Nicht weil wir engstirnig wären, sondern weil wir Klarheit brauchen. Und weil echte Motivation nicht durch Zielvorgaben entsteht, sondern durch Handlungsspielräume innerhalb klarer Grenzen. Eine gute Strategie sagt nicht, was wir tun. Sie sagt, was wir lassen. Und genau deshalb ist sie so wertvoll. Denn manchmal ist das wichtigste Wort im Unternehmen ein ehrliches Nein.