
Führung neu denken
Führung ist heute ein vielfach missverstandenes Konzept. In den Köpfen vieler Verantwortlicher spukt noch immer das tayloristische Menschenbild: Führung als Arbeit am Menschen. Man führt Mitarbeitende, sagt ihnen, was zu tun ist, überprüft Ziele, verteilt Boni oder Sanktionen – als wäre der Mensch ein Rädchen im Getriebe. Diese Art der Führung ist ein Machtspiel. Sie basiert auf Kontrolle, Formalstruktur und der naiven Idee, Komplexität durch Planung zu besiegen.
Aber diese Vorstellung ist widerlegt, nicht zeitgemäß – und gefährlich.
Denn sie geht davon aus, dass die Welt da draußen kompliziert ist. Dass sie sich durch Prozesse, KPIs und Meeting-Rituale beherrschen lässt. Doch Märkte sind nicht kompliziert. Sie sind komplex. Dynamisch. Überraschend. Nicht planbar. Wer heute noch versucht, mit den Werkzeugen der Planbarkeit zu führen, bekämpft Symptome – aber löst keine Probleme.
Was wir brauchen, ist ein radikaler Paradigmenwechsel: Führung muss zur Arbeit am System werden.
Nicht der Mensch steht im Mittelpunkt der Führung, sondern der Kunde. Die zentrale Frage lautet: Wie müssen wir organisiert sein, damit echte Wertschöpfung für den Kunden entsteht? Nicht Beschäftigung für das Management, sondern Wirkung für den Markt. Das bedeutet: Führung ist nicht mehr das Vorbild an der Spitze, sondern ein kollektiver Prozess, der Strukturen schafft, in denen autonome Teams Verantwortung übernehmen können.
Führung ist kein Titel. Keine Stelle im Organigramm. Führung ist eine Rolle – temporär, kontextabhängig, fluide. Jeder im Team kann führen. Dann, wenn es sinnvoll ist. Dann, wenn es gebraucht wird. Diese dynamische Form nennen wir die Nomadisierung der Führung. Sie wandert. Sie entsteht zwischen Menschen – nicht durch Hierarchie, sondern durch Kompetenz, Vertrauen und kreative Ideen.
Selbstorganisation ist kein Verzicht auf Führung – sie ist ihre moderne Form. Teams organisieren sich entlang gemeinsamer Prinzipien, treffen Entscheidungen dort, wo die Probleme auftauchen – nicht fünf Hierarchieebenen darüber. Führungskräfte im klassischen Sinne werden überflüssig. Was bleibt, ist Führungsarbeit – aber im Team, nicht über dem Team.
Was bedeutet das konkret?
Die kleinste Organisationseinheit ist das fakturierende Team. Es trägt Verantwortung für Leistung und Ergebnis – nicht fürs Gefallen beim Chef.
Führung entsteht durch Rollen, nicht durch Positionen.
Verbindlichkeit wird durch Nahtstellenvereinbarungen und Transparenz hergestellt, nicht durch Kontrollmechanismen.
Rituale, Räume und informelle Netzwerke sind kein Ballast, sondern zentrale Steuerungsfaktoren. Sie prägen das Klima und Kultur, in dem Zusammenarbeit überhaupt möglich wird.
Entscheidungen werden dort getroffen, wo sie wirken – und nicht dort, wo der Status groß genug ist, um sie abzunicken.
Führung im 21. Jahrhundert bedeutet also: Möglichkeitsräume schaffen. Systeme gestalten. Mit Menschen am System arbeiten – an Prinzipien, Strukturen und Geschäftsmodellen. Das braucht Mut. Und ein neues Selbstverständnis.